Sozialpolitische Gegenwarts- und Zukunftsfragen – Filmabend im Paoso

Birgit Baumeister

„Sozialpolitische Gegenwarts- und Zukunftsfragen“ – unter diesem Titel diskutierten Studierende mit Lehrenden Mitte Januar im Paoso zum Thema Sozioökonomische Statusgruppen und soziale Ungleichheit. Als Anregung zur Diskussion wurde der Film „In Time“ gezeigt. Dank der sehr guten Vorbereitung durch die Studierendengruppe kam es in der Veranstaltung zu einer spannenden Diskussion über Themen wie Ungerechtigkeit, gesellschaftliche Spaltung, Krisen und mögliche Interventionsansätze für die Sozialen Arbeit. In Verbindung mit der am Ort geführten Debatte ist ein Verweis auf das kürzlich erschienene Buch „Triggerpunkte“ angebracht. Trotz des möglicherweise missverständlichen Modeworts im Titel, präsentieren hier die Soziologen Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser beim Suhrkamp Verlag eine fundierte Untersuchung heutiger gesellschaftlicher Konfliktpunkte, gestützt auf eine umfangreiche Datensammlung. Sie beleuchten empirisch die Frage, inwiefern unsere Gesellschaft tatsächlich von einer Spaltung betroffen ist.

Sprachlich flüssig zu lesen, mit oftmals bildhafter Ausdrucksweise, führen sie die Leserschaft über 540 Seiten durch eine Fülle an Daten, welche Polarisierungen aufspüren sollen. Zugrunde legen sie dabei vier Arten von Ungleichheitskonflikten, die als ‚Konfliktarenen‘ bezeichnet werden. Dazu zählt die Schere zwischen Arm und Reich, der Kampf um Zugehörigkeit, der Streit um individuelle Unterscheidung und die Frage vom Morgen angesichts des Klimawandels. Mithilfe eines Polarisierungsindex wird zu ‚Triggerpunkten‘ in dieser Topologie von Oben-Unten, Innen-Außen, Wir-Sie und Heute-Morgen zu Konfliktthemen im öffentlichen Diskurs geforscht. Dabei definieren die Verfasser ‚Trigger‘ als Ansichten, die Empörung, Wut und Ablehnung hervorrufen. Diese Bereiche werden zum Brennpunkt von Konflikten, sobald eine rote Linie überschritten wird und es zu Verletzungen der Egalität, Normalität, Kontrolle und Autonomie kommt.

Im Resultat der Studien wird jedoch gezeigt, dass die Vorstellung einer durch tiefgreifende Konflikte zerteilten Republik empirisch nicht haltbar ist. Stattdessen wird ein differenziertes Bild einer Gemeinschaft präsentiert, in der in vielen Angelegenheiten Konsens herrscht, aber zugleich auch Auseinandersetzungen vorhanden sind, für die bisher keine Lösungsansätze zur Befriedung existieren. Die Erhebungen zeigen beispielsweise an, dass der Fokus beim ‚Klimadissenses‘ weniger darauf liegt, ob Maßnahmen zum Schutz von Umwelt und Klima grundsätzlich erforderlich sind. Vielmehr steht die Art und Weise und bei wem die Umgestaltung ansetzen soll, sowie das Tempo der Veränderungen im Vordergrund der Diskussion.

Folglich lautet die Quintessenz der Autoren: „Konflikte: vorhanden, Polarisierung: kaum, politisierte und radikalisierte Ränder: ja“ (S. 379) und sie kommen damit zu dem Schluss, dass „…das häufig gezeichnete Bild einer gespaltenen Gesellschaft nicht zutrifft.“ (S. 25).

Es ist den Autoren auf eine fesselnde Art und Weise gelungen, ihre Ergebnisse so darzulegen, als würde man sämtliche Stammtischgespräche zu affektiv aufgeladenen Themen wie Transgender, Lastenfahrräder, Migration, Fridays-for-Future-Aktivisten oder AfD-Wählern, belauschen können.

Zum Ende des Buchs werden Lösungsimpulse dargestellt, die Mittel der Befriedung und Vertrauen in Institutionen zum Kern haben, aber keine Rezepte für politisches Handeln darstellen sollen. Dieser Ausblick wirkt eher erschöpft als kreativ. Trotzdem ein sehr empfehlenswertes Buch, weil es sich vortrefflich bemüht die Komplexität aktueller gesellschaftlicher Stimmungen einzuordnen. Insgesamt bleibt nach der Lektüre jedoch das unbestimmte Gefühl, etwas übersehen zu haben, ähnlich wie bei einer Wetter App, die Sonne angibt, gleichwohl ein Blick aus dem Fenster Regen zeigt.


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